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Stellungnahme des Bundesverband Kinderhospiz zum Antrag der FDP-Fraktion „Sternenkinder“ verdienen mehr Aufmerksamkeit (Drucksache 18/3286)

Berlin/Düsseldorf, 07. Juni 2023

Der Bundesverband Kinderhospiz e. V. bedankt sich für die Möglichkeit einer Stellungnahme zum Antrag der Fraktion der FDP im nordrhein-westfälischen Landtag „Sternenkinder verdienen mehr Aufmerksamkeit – Forschung und Unterstützung der Eltern bei Fehl- oder Totgeburten verbessern“. Dazu nehmen wir wie folgt Stellung:

Im Jahr 2021 wurden in Deutschland laut Statistischem Bundesamt 3.420 Kinder tot geboren. Dies entspricht 4,3 Totgeburten je 1.000 Geborenen. Das heißt, pro Tag erleiden offiziell etwas mehr als neun Frauen in Deutschland das Trauma einer Totgeburt. Dabei ist die Quote nach einem Tiefstand von 3,5 Totgeburten je 1.000 Geborenen im Jahr 2007 seit 2010 tendenziell gestiegen. 2020 und 2019 gab es jeweils 4,1 Totgeburten je 1.000 Geborene. Zu unterscheiden sind Tot- und Fehlgeburten. Von einer Fehlgeburt ist dann die Rede, wenn eine Schwangerschaft endet, bevor das Kind lebensfähig ist. Als lebensfähig definiert die Medizin ein Baby mit mindestens 500 Gramm und ab der 24. Schwangerschaftswoche. Verstirbt das Baby nach der 24. Schwangerschaftswoche im Mutterleib, dann handelt es sich um eine Totgeburt oder „stille Geburt“. Stellen Ärztinnen und Ärzte bereits in der pränatalen Phase fest, dass das Kind schwer behindert und daher entweder im Mutterleib, während oder kurz nach der Geburt versterben wird, raten sie den werdenden Müttern häufig zu einem Schwangerschaftsabbruch.

Nach der Diagnose einer lebensverkürzenden Erkrankung ihres ungeborenen Kindes stehen betroffene Paare dann vor der Frage, ob sie die Schwangerschaft fortsetzen wollen. Bei einer Abtreibung zwischen der 12. und 20. Schwangerschaftswoche stirbt das Kind beim Geburtsvorgang. Nach der 20. Schwangerschaftswoche spricht man von einer Spätabtreibung. Sie ist in besonderen medizinischen Fällen erlaubt. Vielfach wird eine infauste Diagnose erst im fortgeschrittenen Stadium einer Schwangerschaft gestellt, wenn das Kind bereits eine bestimmte Größe hat und bildgebende Verfahren schwerwiegende Fehlbildungen erkennbar machen. Bei einer Spätabtreibung wird das Kind vor der Einleitung der Geburt zunächst mithilfe einer Injektion im Mutterleib getötet und künstlicher Wehen tot zur Welt gebracht. Ein solcher Geburtsverlauf kann sich traumatisch auswirken. Für die Entscheidung dazu hat die Schwangere ab Diagnosestellung drei Tage Zeit.

Hier besteht aus Sicht des Bundesverband Kinderhospiz eine große Problematik. Unterschätzt wird dabei, dass allein die pränatal-medizinische Diagnose, ein nicht lebensfähiges Kind zu bekommen, die Mütter und auch die Väter in eine seelische Krise stürzt. Kommt dann noch der zeitliche Druck zur Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch hinzu, bedeutet dies für die werdenden Mütter und Väter einen nahezu unlösbaren Konflikt. Ärztinnen und Ärzte neigen oft dazu, Mütter auch spät zu einer Abtreibung zu raten. Alternativen werden nicht aufgezeigt. Betroffene Schwangere und ihre Partner bzw. Partnerinnen benötigen in dieser Situation jedoch wertfreie Beratung und Entscheidungshilfen.

Die Palliativversorgung eines noch ungeborenen Kindes beginnt bereits vor der Geburt, sobald die lebensverkürzende Erkrankung im Rahmen der pränatalen Diagnostik festgestellt wird. Hierbei steht nicht die Verlängerung der Lebenszeit um jeden Preis, sondern die bestmögliche Lebensqualität des Kindes sowie dessen Familie im Vordergrund. Neben der Abtreibung aus rein medizinischen Gesichtspunkten ist eine „palliative Geburt“ eine Alternative für die werdenden Eltern, die helfen kann, das Trauma einer bewusst herbeigeführten Abtreibung zu vermeiden. Hierbei wird das Kind nach der Geburt nicht maximal-versorgt, sondern palliativ. Das Kind kann selbst entscheiden, wann es gehen möchte. Erfahrungen haben gezeigt, dass das Kennenlernen des Kindes und es im Arm zu halten, den trauernden Müttern und Vätern hilft, Abschied zu nehmen.

Nach Auffassung des Bundesverband Kinderhospiz besteht eine dringende Notwendigkeit, das Thema Fehl- und Totgeburten zu enttabuisieren und transparenter mit palliativen Begleitungs- und Versorgungsangeboten umzugehen. Bestehende Alternativen zu einem Schwangerschaftsabbruch, wie die palliative Geburt, sind vorhanden und müssen aufgezeigt werden. Von medizinischer wie öffentlicher Seite ist mehr Informationsarbeit nötig. Das Beratungsangebot muss ausgebaut und werdende Eltern in ihrem Entscheidungsprozess unterstützt werden. Kinderhospizarbeit bedeutet auch, trauernde Eltern und Angehörige bestmöglich zu begleiten. Die werdenden Eltern zu unterstützen und das Wohl des ungeborenen Kindes sowie das Familiensystem im Blick zu behalten, ist aus unserer Sicht das vorrangige Ziel.