Unter einem assistierten Suizid versteht man die „Beihilfe zur Selbsttötung”. Die Sterbewilligen nehmen selbstständig eine Substanz zur Selbsttötung ein. Eine andere Person, das heißt ein/e Angehörige/r oder nahestehender Mensch, ein/e Arzt/Ärztin oder SterbehelferIn hat hierzu einen Beitrag geleistet, z.B. die tödliche Substanz zur Verfügung gestellt. In Deutschland ist die Selbsttötung nicht strafbar, also auch die Beihilfe zur Selbsttötung nicht. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 26.02.2020 ausdrücklich bestätigt und das strafrechtliche Verbot geschäftsmäßiger Suizidassistenz für verfassungswidrig erklärt.
In seiner Begründung führte das BVerfG aus, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasse. Die damit einhergehende Freiheit, sich selbstbestimmt das Leben zu nehmen, schließt auch die Freiheit ein, hierfür die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen (BVerfGE 153, S. 182-310). Das Urteil des BVerfG bringt den Respekt vor einer Freiheit des Individuums zum Ausdruck, die in letzter Konsequenz auch das Recht umfasst, das eigene Leben zu beenden.
Notwendig zu diskutieren ist nicht, ob, sondern wie dieses Recht zukünftig wahrgenommen werden kann. Obwohl der Suizidwunsch in vielen Fällen unbeständig sein und aufgegeben werden kann, wenn sich die jeweiligen Lebensumstände der Betroffenen ändern, gibt es Menschen, deren Suizidwunsch stabil ist und auch angesichts entsprechender medizinischer und psychosozialer Angebote dauerhaft aufrechterhalten wird. Es besteht eine Fürsorgepflicht der Gemeinschaft für jedes Mitglied einerseits und das Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen andererseits. Beides muss miteinander in Einklang gebracht werden. Es bleibt jedoch im Grundsatz ein nicht vollständig aufzulösendes Spannungsverhältnis bestehen: die Achtung der Autonomie des Einzelnen einerseits, die mit Blick auf seine Entscheidungsfreiheit letztlich nicht an Bedingungen geknüpft werden kann, und andererseits das Wissen darum, dass der Entschluss zum Suizid in vielen Fällen abhängig von einer Fülle unterschiedlicher, vielleicht noch veränderbarer Faktoren ist und immer auch Ausdruck einer durch Leid und Erkrankung beeinträchtigten Wahrnehmung sein kann. Der Bundesverband Kinderhospiz e. V. stellt bei seiner Arbeit immer die Bedürfnisse und Wünsche der lebensverkürzend erkrankten Kinder in den Mittelpunkt seiner Tätigkeiten. Nur deren Wille kann maßgeblich für die Entscheidungen sein, die es zu treffen gilt. Damit potenziert sich das oben bereits dargestellte Spannungsfeld um ein Vielfaches.
Rückt man die selbstbestimmte Entscheidung, sein Leben zu beenden in den Fokus der Betrachtungen, stellt sich jedoch die Frage, inwiefern die Grundsätze des Urteils auf Minderjährige und insbesondere die Kinderhospizarbeit übertragen werden können. Die Fähigkeit, die Tragweite und die damit verbundene Endlichkeit der Entscheidung begreifen zu können, reift und entwickelt sich erst mit zunehmendem Alter. Auch wenn ein Kind mit Wut, Trauer, Bestürzung auf die todbringende Diagnose reagiert oder im weitergehenden Verlauf den Wunsch zu sterben äußert, bleibt fraglich, ob dies wirklich dem selbstbestimmten Willen, widerspiegelt. Gleichzeitig ist aber auch Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen das Recht, ihr Leben und ihren Tod eigenverantwortlich zu gestalten nicht abzusprechen. Doch wie kann dies umgesetzt werden? Ab welchem Alter ist ein Mensch in der Lage, die Entscheidung über die Beendigung seines Lebens mit allen Konsequenzen zu treffen? Kann ein Mensch mit 16 Jahren selbstbestimmt entscheiden, mit 12 Jahren aber nicht? Oder ist ein so junger Mensch mit der Situation, der Endgültigkeit und der damit verbundenen Angst vielleicht derart überfordert, dass von ihm gar keine freie Entscheidung verlangt werden kann? Bürdet man diese Entscheidung dann den Eltern als gesetzliche Vertreter auf?
Dies führt zugleich zu dem nächsten Problembereich: Sind überhaupt die Kinder bzw. Jugendlichen die zuständigen Entscheidungsträger oder müssen dies nicht vielmehr ihre Erziehungsberechtigten an ihrer Stelle sein? Wie geht man mit einem Fall um, in dem der Wille des Kindes bzw. Jugendlichen konträr zu dem der Erziehungsberechtigten steht? Wessen Wille ist maßgeblich und wer entscheidet dies?
Hospizarbeit verfolgt unter anderem das Ziel, Menschen dabei zu stärken, ihre Selbstbestimmung wahren zu können. Dies gilt auch am Lebensende. Die Umsetzung des rechtlich geregelten assistierten Suizids zu akzeptieren ist eine, wenn auch die letzte Option, die der berufsethischen Haltung der Hospizarbeit entspricht. Dennoch zeigen die vorangestellten Überlegungen, dass eine Übertragung dieser Grundsätze aus dem Urteil auf die Kinderhospizarbeit nicht ohne Weiteres möglich ist. Noch stärker als bei Erwachsenen muss hier der jeweilige Einzelfall mit allen Facetten in den Fokus gerückt und untersucht werden. Es darf niemals zu einer pauschalen Betrachtung des Falles kommen. Maßgeblich für alle Überlegungen müssen immer die spezielle Situation des Kindes/Jugendlichen, dessen Wille, Bedürfnisse und Wünsche sein.
Zusammengefasst gilt folgendes: Genau wie Erwachsene müssen auch Kinder das Recht haben über ihren weiteren Weg zu entscheiden. In begründeten Fällen soll und darf dies sein. Dennoch sind Kinder gerade nicht wie kleine Erwachsene zu behandeln, sondern bedürfen spezieller Regelungen. Die Entscheidung bzw. der Wille des Kindes soll den Ausgangspunkt der Entscheidung darstellen. Für diese Entscheidung muss aber zwingend genügend Zeit und ein geschützter Raum zur Verfügung stehen. Auch müssen Fachkräfte aus dem Bereich der Kinderpalliativversorgung, der Psychologie und der Ethik den Prozess und die Entscheidungsfindung unterstützen und lenken. Nur durch entsprechende Begleitung durch die verschiedenen Akteure im Rahmen der Kinderhospizarbeit kann eine freie Willensentfaltung ohne Druck stattfinden, die dem Willen jedes Individuums Rechnung trägt und die persönliche Freiheit wahrt.