Zum Tag der Menschen mit Behinderung: Wie eine Familie darum kämpft, dass ihr Sohn in die Schule gehen darf
Kristine Lindtner ist verzweifelt. Ihr Sohn liegt in seinem Zimmer und schläft; nach einem epileptischen Anfall hat ihn das Notfallmedikament ruhiggestellt. Nicht nur, dass sie sich immerzu Sorge machen muss um die Gesundheit des 16jährigen Felix, bei dem vor fünf Jahren ein Hirntumor diagnostiziert wurde und der im Rollstuhl sitzt. Jetzt muss sich Felix‘ Mutter auch noch um das letzte bisschen Alltag sorgen, das ihrem Sohn geblieben ist. Felix wiederholt derzeit die achte Klasse, er brennt darauf, endlich seinen Schulabschluss zu machen. Durch seine Erkrankung und eine große Operation war Felix zwei Jahre lang nicht in der Lage zur Schule zu gehen, wurde zuhause unterrichtet. Jetzt träumt er davon, nach dem Abschluss im nächsten Schuljahr vielleicht eine Ausbildung anzufangen. Doch es sieht so aus, als könnte er nicht einmal das achte Schuljahr beenden. Nicht wegen des Tumors, nicht wegen seiner Leistungen – „Felix hat völlig normale Noten zwischen eins und vier“, berichtet Kristine Lindtner. Aber der Hilfsdienst, der Felix‘ Schulbegleitung organisiert, hat diese zum Ende des Jahres gekündigt. Felix verbringe zu wenig Stunden in der Schule, so die Aussage, wirtschaftlich sei das Begleitungsmodell nicht mehr zu halten.
„Es stimmt, Felix hat derzeit wieder viele Anfälle und muss oft früher nach Hause gehen“, berichtet seine Mutter. Die Schulbegleitung holt Felix morgens zuhause ab und hilft ihm durch den Schultag. Felix‘ Motorik ist durch den Tumor eingeschränkt, er braucht häufig Unterstützung. Und jemanden, der ihn im Auge behält und sofort reagiert, wenn sich ein Anfall anbahnt. Ohne diese Hilfe kann Felix nicht in die Schule gehen, und ohne Schulbesuch kein Zeugnis aus Klasse 8. Also wieder alles von vorne? „Er will doch nur weiterkommen in seinem Leben“, sagt seine Mutter hilflos. Schulisch gesehen sind Felix Fehlzeiten kein Problem – er ist ein cleverer Schüler, und alle Leistungsnachweise liegen vor. Die Familie ist ratlos, Felix selbst zutiefst deprimiert. Im nächsten Durchlauf der Klasse 8 wäre er rund vier Jahre älter als seine Mitschüler, es wäre die fünfte Klassengemeinschaft, in die er sich integrieren muss.
„Hier zeigt sich auf erschreckende Weise, mit welchen Hürden Familien mit behinderten und lebensverkürzend erkrankten Kindern zu kämpfen haben“, sagt Sabine Kraft. Die Geschäftsführerin des Bundesverbands Kinderhospiz ärgert maßlos, wie verwirrend und undurchsichtig sich die Rechtslage für Betroffene darstellt. „Man muss schon Experte sein um zu wissen, was einem zusteht und worauf man Anspruch hat“, weiß sie. Dafür fehlt Eltern, die sich um ein schwerstkrankes Kind kümmern die Zeit und vor allem die Kraft. So wie Kristine Lindtner, die sich völlig ausgeliefert fühlt. „Wenn ich jetzt sage, ‚Du gehst ab Januar nicht mehr in die Schule‘, dann ist Felix Schicksal besiegelt. Es geht ihm doch sowieso schon so schlecht“, sagt sie wütend. Eine private Schulbegleitung kann sich die Familie nicht leisten.
„Wir beim Bundesverband Kinderhospiz bieten neben Förderungen für betroffene Familien auch sozialrechtliche Beratung an“, sagt Sabine Kraft. „In zu vielen Bereichen gibt es einfach noch keine ausreichenden Regelungen zur angemessenen Versorgung und Hilfeleistungen für behinderte Menschen!“, weiß sie. Am heutigen Tag der Menschen mit Behinderungen fordert Kraft deshalb Politik und Kostenträger auf, flexibler anpassbare Hilfelösungen zu entwickeln. „Es kann nicht sein, dass Familien, die mit einer solchen Diagnose leben müssen, auch noch um Unterstützung bangen müssen, die eigentlich selbstverständlich sein sollte!“
In Felix‘ Fall wird der Bundesverband Kinderhospiz nun die Rechtsberatung der Familie übernehmen. „Ganz egal wie, auch wenn wir das über Spenden finanzieren müssen“, verspricht Kraft nachdrücklich: „Felix darf in die Schule gehen!“